7 - Im Norden     Mai 2009

Nun sind wir zwei wieder mutterseelenallein unterwegs und geniessen unsere wieder gewonnene Freiheit. Nach einem Monat Landleben versuchen wir unser Glück in den Städten von La Rioja und Tucuman.

In La Rioja fällt uns auf, dass ab 15:00 Uhr die Stadt plötzlich wie ausgestorben ist, alle Geschäfte zu sind und sich nur noch einige Hunde im Schatten herumlümmeln. Die Siesta ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Abends sprudelt das Leben wieder aus allen Ecken und in den Strassen herrscht ein Gewusel. Die Restaurants öffnen allerdings erst gegen halb neun, wobei die richtigen Argentinier nicht vor halb zehn eintrudeln. Uns bleibt nichts anderes übrig als uns diesem Rhythmus anzupassen, wir machen ein Nickerchen am Nachmittag und spielen bei einem ausgedehnten Apéro stundenlang Karten bis wir endlich etwas zwischen die Zähne kriegen. Dazwischen brauchen wir Bewegung und fahren in einem 16-plätzigen Büsslein, mit über 20 Passagieren zu einem nahe gelegenen Stausee und geniessen seit langem wieder eine ausgedehnte 5-stündige Wanderung in den Bergen, begleitet vom Kopfschütteln der Einheimischen.

Tucuman ist unser nächstes Ziel und obwohl im Reiseführer steht, man verliebe sich in diese Stadt erst nach dem zweiten Blick, geben wir ihr diese Chance nicht und flüchten schon am nächsten Tag wieder in die Berge. Bereits die Fahrt nach Tafí de Valle durch dicken, grünen Urwald ist die Reise wert. Und als wir in Tafí aussteigen, schlägt unser Herz beim Anblick des stahlblauen Himmels höher und unsere Lungen jauchzen beim Einatmen der frischen, klaren Bergluft. Die alte Liebe zu den Anden erwacht von neuem und so bleiben wir dem Norte Argentino mit seinen Bergen einen Monat lang treu und halten uns auch einige Tage in Cafayate, Salta und Cachi auf. 

Das Schweizer Blut lässt sich nicht verleugnen, wir wandern viel und in einigen Hochtälern fühlen wir uns wie im Engadin. Allerdings fehlen die vielen gelben, akribisch angebrachten Wegmarkierungen, sodass wir manchmal durch dickes Gestrüpp irren oder die Schuhe ausziehen und durch eiskalte Bäche waten müssen. Einmal endet der Weg gar in einem trostlosen Sumpfgebiet, umgeben von toten und verkohlten Baumstämmen, indem das einzig Lebende das auf uns wartet, ein paar Geier und Schwärme von stechfreudigen Moskitos sind. Aber grundsätzlich sind wir begeistert von der andinen Natur und bedauern, dass wir keine Ornithologen sind, denn wir sehen Gevögel in allen Varianten: Kolibris, Wellensittiche, Papageien zu zweit oder in grossen Schwärmen, Rebhühner, Ibisse, Käuze, Falken, etc. und glücklicherweise ein paar der riesigen Kondore. 

Wir wandern an vielen kleinen und malerischen Gehöften vorbei, die je nach Gegend von verschiedenen kleinen Feldern oder herbstlichroten Rebbergen umgeben sind. Hinter den Häusern werden rote Pfefferschoten auf dem Boden getrocknet und dazwischen viechern Geissen, Schafe, Schweinefamilien, Hühner mit ihrem Hahn und natürlich der obligate Hund. Die Backsteine für die Häuser werden jeweils an Ort und Stelle hergestellt, deshalb haben die Fassaden meist die Farbtönung ihrer Umgebung (ocker, rot, grün, etc.) und passen harmonisch in die Landschaft. 

Auch unsere Leidenschaft für Pferde kommt nicht zu kurz. In Tafí reiten wir steile Bergpfade hinauf und über grüne Hügel zu einer einsamen Alphütte. In Cachi dagegen sitzen wir erstmals auf Peruanos. Dies ist eine Pferderasse die dank einer speziellen Beintechnik doppelt so schnell gehen kann, das schnelle Schwingen der Vorderbeine erinnert uns an eine Nähmaschine. Und so rasen wir mit viel Spass und um eine neue Erfahrung reicher durch die Gegend.

Längere Strecken legen wir mit dem Bus zurück, allerdings nicht unbedingt schneller. Er hält an allen möglichen und unmöglichen Stellen und mitten in unendlicher Wüste ohne jegliches Zeichen von Zivilisation steigen Leute aus und ein. Der Bus verkauft auch an jedem zweiten Haus Zeitungen und Lose, indem er hupend auf sich aufmerksam macht und manchmal geduldig wartet bis ein Greis am Stock seinen Weg zum Chauffeur findet. Aber früher oder später kommen wir immer ans Ziel.

Eine Herausforderung ist die Zeit nach Sonnenuntergang, denn in diesen Höhen wird es sofort bitterkalt. In den vielen ungeheizten Lokalen arbeitet das Personal in dicken Daunenjacken, Kappen und Winterstiefeln und auch wir sitzen fest eingepackt in unseren Pullis und Jacken am Tisch. Die lokalen Eintöpfe (Locro, Cazuela de Cabrita, Carbonada, etc.) mit Fleischstücken, Kartoffeln, Kürbisse und verschiedenen Bohnen passen perfekt und wärmen uns von innen.

In einer Herberge heizt der Nachtwächter kräftig ein und schiebt glühende Kohle und Holzscheite in den gusseisernen Ofen, uns empfängt dicker Rauch, die Augen brennen, selbst in unserem Zimmer riecht es verbrannt, nur wärmer wird es nicht. Nach der x-ten durchfrorenen Nacht springen uns plötzlich unsere Hightech-Schlafsäcke, die wir schon seit Monaten mitschleppen, in die Augen. Wir montieren sie zu einem Doppelschlafsack zusammen und ab sofort werden unsere Nächte wohlig warm. Nur das morgendliche Aussteigen bleibt hart.

Die Sehnsucht nach Wärme steigt, was liegt also näher als eine der Thermen der Umgebung zu besuchen. Wir entscheiden uns für das Hotel & Spa Termas in Rosario de la Frontera, um Sandras Geburtstag entsprechend edel feiern zu können. Auf dem Busbahnhof in Salta müssen wir noch eine Stunde warten und der erste Wunsch geht in Erfüllung: ein Super Pancho mit den dazugehörenden fetten Beuteli-Saucen, die wir nach unserem Gusto darüber kleckern. In Rosario angekommen landen wir im Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann. Das Hotel Termas ist ein ehrwürdiges Kurhotel, das mit seinen riesigen Sälen und endlosen Gängen, den abgewetzten Ecken und Kanten, allen Rissen und dem herabblätternden Putz, schmuddeligen Teppiche und schweren Vorhänge an die gute, alte Zeit erinnert. Im Gegensatz zu den Herbergen drücken wir hier den Altersdurchschnitt nach unten. Wir verwöhnen uns so richtig im heissen Thermenbecken und gönnen uns sogar eine Anti-Stress Massage. Jost kommt zusätzlich zu einer Anti-Age Massage mit Rotweinessenzen, eine Bereicherung unserer bisherigen Weinerfahrungen, die neben dem Trinken auch den Genuss feiner Weinsorbets (Torrontes und Cabernet) beinhalten. Gut erholt und prächtig verjüngt kehren wir nach Salta zurück, eine Art Stützpunkt für weitere Ausflüge.

© 2009 dos en camino :: cms: netzton