Und wieder einmal steht ein Grenzübertritt bevor. Ein Taxi fährt uns bis zum abgelegenen Grenzposten an einem Fluss und wir laufen mit Sack und Pack zu Fuss über die Brücke in ein neues Land. Entgegen unserer Vorstellung werden wir in Kolumbien völlig unkompliziert willkommen geheissen, unser Gepäck will niemand sehen und wir bekommen auf unsere Bitte hin, statt des üblichen zwei-, ein dreimonatiges Visum. Mit einem weiteren Taxi geht es nach Ipiales.
Hier besuchen wir den Wallfahrtsort Las Lajas. Die Gassen sind eng gesäumt mit Marktständen voller Devotionalien, es werden Rosenkränze, Kruzifixe, Gemälde von Papa Juan Pablo II und Jesus in 3D und natürlich allerlei Kerzen angeboten. Der Pilgerweg führt steil hinab in eine Schlucht und an den Felswänden sind unzählige Metalltafeln mit Danksagungen angebracht. Sie zeugen von all den erwirkten Wundern der mächtigen Virgen de las Lajas. Hier unten wurde ihr zu Ehren auf einer schwindelerregenden Brücke eine Kirche in den Fels gebaut. Wir haben inzwischen ja schon viele Gotteshäuser gesehen, aber dieser Ort gehört zu den Spektakulärsten (wie auch der offizielle Name: "El Santuario de la Virgen del Rosario de Las Lajas en Ipiales").
Mit kurzen Aufenthalten in Pasto und der weiss getünchten Kolonialstadt Popayán fahren wir weiter nach Cali. Während dieser Reise fällt uns auf, dass der Fahrstil hier noch einiges halsbrecherischer ist als wir es bisher gewohnt sind und schon in den ersten drei Tagen sehen wir drei frisch zerlegte Busse am Strassenrand. Bei den vielen Elefantenrennen, wenn sich die Sattelschlepper und Busse in engen Kurven und an den unübersichtlichsten Stellen zu überholen versuchen, sitzen wir in der ersten Reihe. Am Ziel stossen wir jeweils erleichtert mit einem Bier auf unsere erfolgreiche Ankunft an!
In Cali gönnen wir uns wieder einmal etwas Besseres und logieren im Hotel Pension Stein, ein burgähnlicher Bau umgeben von viel Grün. Erstaunlicherweise wohnen hier hauptsächlich Familien und zwar ausschliesslich hellhäutige Eltern mit dunkelhäutigen Babys und Kindern. Wie wir erfahren, verbringen hier die frischgebackenen Adoptiveltern mit ihren Kleinen ca. einen Monat um sich kennenzulernen und alles Administrative zu erledigen. Wir als "Exoten" erleben die Stimmung als eher schräg, vor allem die vorsichtige, aber auch überliebevolle Annäherung mit Küsschen da, Kopf streicheln dort, "das ist Mami", "er heisst Papi". Untermalt wird das Ganze von beruhigender sphärisch-meditativer Musik und so entsteht ein richtig stressfreies Wohlfühl-Gschpüürschmi-Klima. Aber nun genug gespottet. Es ist uns bewusst, dass dies kein einfacher Prozess ist und seine Zeit braucht.
Cali ist das Salsa Mekka schlechthin, aber Jost hat schnell ein Ersatzprogramm zur Hand um Sandra vom Tanzen abzulenken. Glücklicherweise findet in dieser Woche das alljährliche Jazzfestival "AJAZZGO" statt und so geniessen wir zwei Abende mit den Leckerbissen "Jon Faddis Cuarteto" und "Hermeto Pascoal Septeto" im edlen Teatro Municipal, dem Opernhaus der Stadt. Vor den Konzerten ertönt zu unserem Erstaunen die Landeshymne und bis in die obersten Ränge erheben sich alle und singen mehr oder weniger andächtig mit.
Das Stadtleben unterbrechen wir mit einem Ausflug nach Ladrilleros an der Pazifikküste. In Buenaventura steigen wir mit zwanzig anderen Passagieren in ein schmales, offenes Boot und rasen, angetrieben von den zwei 200 PS Aussenbord-Motoren, über die hohen Wellen mit entsprechend harten Schlägen in den Rücken. Zum Glück werden wir von der schönen Küste abgelenkt, denn nach all den wüstenartigen und trockenen Pazifikstränden in Südamerika sehen wir hier zum ersten Mal üppig grün bewaldete Klippen. Als das Boot am Hafen anlegt, trifft uns die fast unerträglich feuchte Hitze wie ein Schlag. Unsere Aktivität senkt sich von Hundert auf praktisch Null, wir suchen uns einen Platz im Schatten und verbringen den Rest des Tages, wie die meisten Bewohner hier, träge wartend auf "kühlere" und "bessere" Zeiten. In diesem tropischen Ambiente leben fast ausschliesslich dunkelhäutige Menschen, Nachfahren von afrikanischen Sklaven. Uns weht bereits ein Hauch von Karibik entgegen. Am Abend werden wir mit einem perfekten Sonnenuntergang belohnt und feiern mit ein paar um uns hüpfenden Riesenkröten den Abschied vom Pazifik, den wir für die kommenden Monate definitiv mit der Karibik austauschen werden.
Vorher machen wir noch einen Abstecher in den westlichen Andenausläufer und besuchen das kleine Bergdorf Salento, ein malerischer Ort in wildromantischer Hügellandschaft. Am Wochenende strömen die Leute aus den nahegelegenen Städten hierher und der Dorfkern verwandelt sich in ein fröhliches und lautes Freiluftfest. Am Montagmorgen ist der Spuk wieder vorbei, der Dorfplatz leergeräumt und der Charme der alten Kolonialhäuser kommt wieder zu Geltung.
Das nahegelegene Valle de Cocora ist ein Muss und so fahren wir mit einem kleinen Willys Jeep los. Das vermeintliche Fassungsvermögen von 6 Personen wird dabei massiv überschritten und schlussendlich drängen sich 16 Personen im und ums Fahrzeug. Richtig abenteuerlich wird es aber erst, als unser Chauffeur anhält und das bereits lose Bremspedal definitiv abmontiert... aber alles kein Problem, den letzten Kilometer gehts ja nur noch bergauf. Freudig wandern wir durch die surreale Landschaft mit dick vernebeltem Nebelwald und sonnigen, saftig grünen Wiesen in denen die schlanken, bis zu 60 Meter hohen Wachspalmen in den Himmel ragen. Unterwegs stärken wir uns mit einer Tasse süssen Kaffee, begleitet von einem Stück säuerlichen Frischkäse, eine hiesige Spezialität.
Salento und Umgebung mit all den Hügeln, Wäldern, Flusstälern, gepflegten farbigen Fincas und Weiden mit Rindern und Pferden erobert unsere Herzen im Nu und der Abschied fällt uns nicht leicht.
Unser nächstes Ziel Manizales ist rein optisch etwas Eindrückliches und erinnert an eine Berg- und Talbahn, denn die Stadt mit 400'000 Einwohnern verteilt sich auf vielen Anhöhen. Die Hauptstrasse verbindet die zwei wichtigsten Stadtteile und führt einem langen Kamm entlang, links und rechts hat es knapp Platz für ein Trottoir und dann gehts sofort und unglaublich steil die Seitenstrassen hinunter.
Da wir uns nun mitten im grössten Kaffeeanbaugebiet von Kolumbien befinden, besuchen wir auch eine der vielen Plantagen. In der wunderschönen Hacienda Venecia werden wir mit einem Kaffee (was denn sonst?) begrüsst und in die Geheimnisse des schwarzen Goldes eingeweiht. Wir beginnen den Prozess in umgekehrter Reihenfolge und rösten als erstes eine Handvoll Bohnen und während sich langsam ein feiner Duft im Raum verbreitet, lernen wir die verschiedenen Röstaromen (z.B. dunkle Schokolade, Pfeifentabak, Gurke, gekochtes Rindfleisch) mit Hilfe von Riechfläschchen kennen. Wir sortieren die rohen Bohnen und trennen die Guten von den Schlechten, die Ersteren werden exportiert, der Rest ist für den Inlandkonsum bestimmt. Draussen besichtigen wir die aufwändigen Anlagen in denen die Bohnen aus den Früchten gequetscht und getrocknet werden. Und langsam aber sicher nähern wir uns dem Kern der Sache, der mühsamen Arbeit in der Plantage: Anpflanzen und Pflegen der Stauden, Jäten der Erde und schlussendlich das Pflücken jeder einzelnen reifen, gelben oder roten Früchte. Und dies alles in steilsten Hängen, in brütend feuchter Hitze und umschwärmt von angriffslustigen Moskitos... eine Knochenarbeit. Zurück in der Hacienda trinken wir unseren Kaffee mit grösstem Respekt!
Die Weiterreise Richtung Norden führt über Medellín. Von hier aus machen wir einen Tagesausflug zum weitläufigen und verästelten Stausee bei Guatapé und den die Landschaft dominierenden, mächtigen Monolithen Piedra el Peñol. Schwitzend erklimmen wir dessen 635 Stufen und der Krampf lohnt sich: die Aussicht ist schlichtweg der Hammer!
In Medellín decken wir uns noch mit Geld ein und kommen mit einem Rekordbezug zu sage und schreibe 1'500'000 Pesos und sind somit gemeinsam dreifache Millionäre und ausgerüstet für das "süsse Nichtstun" am Strand :-)
Was wir von Kolumbien immer wieder gehört haben, hat sich tatsächlich bestätigt. Wir treffen auf sehr viele herzliche Menschen, die gerne mit uns plaudern, uns weiterhelfen und die glücklich und stolz sind, dass wir ihr schönes Land bereisen.