Wir erreichen ein weiteres Traumziel: die Karibik! Aus den geplanten 4-5 Tagen in Capurganá werden mehr als 2 Wochen. Der Charme des autofreien Dorfes, dass nur mit Boot oder Sportflugzeug erreichbar ist, hat uns gänzlich eingefangen. Nebst täglichem Sonnenbad und Frisbee-Spiel im warmen Meer, wandern wir auch der dick bewaldeten, hügeligen Küste entlang, sind allerdings bereits nach kurzer Zeit entweder schweissgebadet oder durchnässt von einem tropischen Regenguss. Wir kraxeln über felsige Hügel und zwischen Palmen tauchen immer wieder malerische und einsame Buchten auf.
Hin und wieder machen wir einen Badeausflug nach La Miel in Panama. Per Boot fahren wir oder wandern die zwei Stunden zum Nachbardorf Sapzurro und hier führt eine lange und matschige Treppe hinauf zum einsamen Grenzposten. Die zwei unterbeschäftigten Soldaten studieren unsere roten Büchlein eingehend und verwickeln uns in ein Gespräch über Land und Leute. Endlich können wir uns höflich losreissen und wir klettern die steilen Stufen auf der anderen Hügelseite hinunter. Der lange Weg wird mit kristallklarem Wasser und einem traumhaften weissen Sandstrand belohnt, nur der Wind rauscht durch die Palmblätter und ab und zu prasseln dicke Regentropfen auf die Wasseroberfläche... ausser am Wochenende! Dann wird aus einer improvisierten Strandbar mit unübersehbaren Lautsprechern die ganze Gegend mit dröhnender Musik beschallt.
In Capurganá geniessen wir eine wunderschöne Zeit im Hotel "Luz de Oriente" und werden von Nabil und seinen Köchinnen verwöhnt. Besonders freuen wir uns jeweils auf 18:00 Uhr, dann wird im ganzen Dorf für zwei Stunden der Strom abgestellt und wir dinieren direkt am Meer in absoluter Ruhe bei Kerzenlicht, einmal unter funkelndem Sternenhimmel, ein andermal mit Wetterleuchten am Horizont... Romantik pur. Der letzte Abend wird gekrönt mit einem offerierten Überraschungs-Menü: eine vom Chef frisch gefangene und in der Küche lecker zubereitete Languste und einem feinen Tropfen Wein. All dies macht uns den Abschied von hier doppelt schwer.
Nach einer langen Busfahrt erreichen wir Cartagena. Hier haben wir vor 20 Monaten, zu Beginn unserer Reise, zum ersten Mal den Fuss auf den südamerikanischen Kontinent gesetzt. Erst jetzt fällt uns so richtig auf, wie herausgeputzt die Altstadt daherkommt, schön renovierte farbige Fassaden mit glänzenden Holzbalkonen, überall teure Boutiquen, Bijouterien voll mit Smaragden in jeder Form und Grösse und natürlich schicke Cafés und edle Restaurants. Alles ist bereit für ein sich entleerendes Kreuzfahrtschiff. Dann herrscht auch Hochkonjunktur für all die unzähligen Strassenverkäufer, die mit ihren Bauchläden "echte" Cohibas und Montecristos, aber auch Panamahüte, Fächer und noch "echteren" Silberschmuck anbieten.
Das schöne Bild wird allerdings ein wenig getrübt. Am späten Nachmittag stehen einige Strassen unter Wasser und enttäuscht stellen wir fest, dass die Tische unserer Strassenbeiz von einer dunklen, nach faulen Eiern stinkenden Brühe umgeben sind. Wir erfahren, dass dieses Jahr das Wetterphänomen "La Niña" besonders stark zuschlägt und Regen bringt wie seit 40 Jahren nicht mehr. In den küstennahen Städten drückt die hohe Flut die Abwässer aus den Kanalisationen und die kolumbianische Karibik wird von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht.
Ein sicheres Plätzchen ist der kleine Balkon unseres Hotels, von dem wir diskret den gegenüberliegenden Nachtclub beobachten können. Besonders reger Betrieb herrscht, wenn die Matrosen mit viel Bier, weissem Schnee und leichten Mädchen ihren kurzen, dafür heftigen Landgang feiern. Wir frönen wieder einmal so richtig dem "People Watching" und kommen uns vor wie Statler und Waldorf aus der Muppet Show.
Nach einer Woche zieht es uns auf die Halbinsel La Guajira, Heimat des Volkes der Wayúu. In Riohacha treffen wir auf den Reiseführer Francisco, der uns erklärt, dass es wegen den wenigen Touristen im Moment keine Touren dorthin gibt. Wir könnten das aber getrost alleine machen und er organisiert uns spontan eine Mitfahrgelegenheit für den nächsten Morgen. Nach einer 2-stündigen Taxifahrt treffen wir in Uribia Luzmila, die mit ihrer Familie in Punta Gallinas lebt und hier ihre Einkäufe erledigt. Schon bald sitzen wir mit ihren Brüdern zwischen Säcken, Schachteln, Benzinkanistern und Eierkartons hinten auf einem Pickup und holpern auf der staubigen und durchlöcherten Piste Richtung Puerto Bolivar. In dieser heissen Wüste sitzen erstaunlicherweise immer wieder Frauen und Kinder mit Kühlboxen am Strassenrand und so kommen unsere trockenen Kehlen ab und zu zu einem erfrischenden Bier.
Am Meer angekommen wird die ganze Ladung in ein kleines Fischerboot verstaut. Die See ist rau, die hohen Wellen überschlagen sich ständig in unser Boot und nach der 3-stündigen Fahrt sind wir tropfnass und riechen von Kopf bis Fuss nach Salz und Fisch. Uns erwartet eine eindrückliche und karge Landschaft aus beige-orangen Felsen und türkis-blauem Meer, es wachsen nur niedrige Büsche, nirgends ist Schatten, weit und breit kein Baum.
Die Wayúu-Sippen leben hier weit verstreut in kleinen Siedlungen. Luzmilas Familie wohnt in ein paar Lehmhäusern, bestehend aus Küche, Lagerhaus, WC, zwei einfachen Schlafzimmern und einem Tante Emma-Laden. Unser Hotelzimmer ist ein Dach auf acht Holzpflöcken mit zwei Hängematten, einem Holztisch und zwei Plastikstühlen. Privatsphäre gibt es praktisch keine. Zwischen den Hütten streifen Hühner, Schweine und Herden von Ziegen umher und manchmal ziehen die Esel des Nachbarn vorbei und werden von den Hunden mit lautem Gebell verjagt. Abends wie Morgens wird für 3 Stunden der Stromgenerator in Betrieb genommen, ein paar Glühbirnen leuchten auf und die Mobiltelefone werden geladen.
Am ersten Morgen mieten wir uns zwei Fahrräder und machen uns mit unserem Führer, dem 12-jährigen Gerardo, auf den Weg. Dank bedecktem Himmel kommen wir nach 2 Stunden relativ frisch an der Playa Taroa an. Wir stehen beeindruckt vor den riesigen Sanddünen und oben angekommen, überrascht uns ein imposantes Panorama mit kilometerlangem Sandstrand und endlosem Meer... und wir alleine mittendrin! Wie kleine Kinder rennen wir die steilen Dünen hinunter und springen in das erfrischende Nass.
Auf dem Heimweg verziehen sich die Wolken, es wird so richtig heiss und unsere Fahrräder entpuppen sich als alte störrische Drahtesel. Mühsam kämpfen wir uns über Stock und Stein, verscheuchen ab und zu eine Echse oder eine zischende Schlange. Laut fluchend nehmen wir den Umweg zum Leuchtturm von Punta Gallinas in Kauf und treten nochmals heftig in die Pedalen. Trotz aller Qualen geniessen wir den erhebenden Moment am nördlichsten Punkt von Südamerika zu stehen.
Bevor die Sonne unsere Umgebung in einen Backofen verwandelt, genügt uns an den folgenden Tagen jeweils ein kurzer Morgenspaziergang. Danach beobachten wir im Schatten unseres Freilufthotelzimmers, wie die Fischer ihre langen Netze knüpfen, die Frauen über dem offenen Feuer in den Töpfen rühren, einer montiert neue Fahrräder zusammen (zu spät für uns) und zwei Jungs bestreichen die zerbröckelnden Wände mit frischem Lehm. All das geschieht in einem stetigen, gemütlichen Rhythmus, mit viel Gelegenheit für einen Schwatz, einen Scherz und ein Lachen.
Wann wir wieder in die "Zivilisation" zurück können ist offen, für uns ein eigenartiges Gefühl. Alles hängt davon ab, ob die Brüder Fische oder Langusten zu verkaufen haben und es sich lohnt mit dem Schiff zum Puerto Bolivar zu fahren. Jeden Morgen heisst es: "Ja, heute!" aber gegen Nachmittag haben sich die Pläne bereits geändert, also warten wir auf mañana. Als es dann wirklich soweit ist, überrascht es uns doch und wir sind etwas traurig, haben wir diese Familie inzwischen doch kennen und schätzen gelernt. Dieses einfache Leben, dafür mit Zeit für sich und füreinander, wirft in uns wieder einmal Fragen über unseren westlichen Lebensstil auf.
Nach einer Woche mit Langusten, Langusten, Fisch und nochmals Langusten sind wir dann doch froh über einige Vorteile die die Konsumgesellschaft zu bieten hat und geniessen in Santa Marta eines der besten Bife de Lomo, zart, schön blutig und mit der richtigen Prise Salz und Pfeffer gewürzt und dazu einen grossen Schluck Roten :-)